Iris Baumann

‚Struktur‘ ist die Bezeichnung für erdachte Systeme, mit deren Hilfe der Mensch sich, seine Umwelt und seine Beziehung zu ihr erklärt und definiert.
Die Arbeiten von Iris Baumann thematisieren das Verhältnis zwischen menschlicher Gestalt und dem sie umgebenden Umraum. Das durchgängige Kolorit sorgt dafür, dass die Bildfläche malerisch paritätisch behandelt erscheint, gleichzeitig staffeln sich die übereinander aufgebrachten Farbschichten in die Tiefe des Raumes und machen ihn auf diese Weise sichtbar. Die Grenzen zwischen Figur und Raum verschwimmen.
In den kleinformatigen Portraits ist die Figur näher herangeholt, im Bild füllenden Ausschnitt wiedergegeben. Man schaut direkt ins Gesicht, das sich allerdings nur sehr wiederwillig aus dem dunklen Grund herausschält, denn das Licht im Bild ist spärlich, reicht gerade aus, um den Raum zu erahnen, den der Kopf braucht, um als solcher erkannt zu werden. Er offenbart sich jedoch niemals ganz, sondern bleibt als Fragment eines Halbprofils in der undefinierten Masse des Raumes verankert und verbindet sich symbiotisch mit ihm, sobald sich die Idee eines Abbildes zu formieren beginnt. Der Wunsch, klare Verhältnisse zu schaffen und zu erkennen, entpuppt sich als illusorisches Unterfangen. Stets bleibt der Vexierzustand zwischen Abbild und Nichtbild erhalten. Lockt den Betrachter wiederholt näher zu treten, um ihn dann gleich wieder zurückzuweisen. Der Kopf lässt sich mit dem Blick nicht aus dem Bild holen, sondern zergliedert sich bei eingehender Betrachtung in seine farbige Struktur, die eine ganze andere Realität auf den Leinwand schafft.
Der Moment, in dem sich entscheidet, ob eine zweidimensionale Struktur eine Illusion erzeugt, ein Bild als Projektion wahrgenommen wird, oder aber als Material, als farbig gestaltete Fläche bestehen bleibt, interessiert Iris Baumann in ihrer Malerei.
So stehen ihren kleinformatigen Figurenbildern großformatige Farbräume gegenüber. Es ist der von der Figur verlassene Raum, der nun isoliert und abstrahiert Gegenstand ihrer Untersuchung wird. Man hat bei den luftigen transparent gehaltenen, in leuchtenden Lasuren ausgeführten Arbeiten, in denen Iris Baumann Schicht für Schicht in den hellen Grund des Raumes vorgedrungen ist, das Gefühl, man könne so weit schauen wie man sich es wünscht. Ganz anders als bei den Arbeiten, die mit ihrem dunklen Grund und ihrer gebrochenen Farbigkeit den Portraits verwandt erscheinen, und sich viel eher aus den Tiefen des Bildes heraus entwickeln. Bei beiden Varianten verdichtet sich die Farbe an manchen Stellen, setzt Akzente und locker gewobene Bereiche rufen dabei von fern die Erinnerung an Fenster wach. Auf all diesen querformatigen Bildern dominiert die Senkrechte, als Pinselduktus und vielleicht auch als Analogie zur menschlichen Figur, die in aufrechter Haltung ihre Position als senkrechte Achse im Raum markiert.
Text zur Ausstellung ‚Strukturwandel’, Fahrradhalle Offenbach
Jutta Saum, M.A.